Der Tanzschul-Ball der Tochter, Geburtstage, Weihnachten ohne die Kinder, die ihre Mama so sehr vermissen, dass sie ihr nicht einmal schreiben mögen, weil das zu sehr schmerzt. Das sind Tage und Situationen, die einer Mutter das Herz brechen. Auch – oder vielleicht gerade – einer Frau wie Heike Groos, die auf den ersten Blick so stark und pragmatisch wirkt, als Ärztin schon so viel Leid gesehen hat.
Mutter, Ärztin und Soldatin
Weil sie eine Stelle suchte, fing Heike Groos nach dem Studium in einem Bundeswehrkrankenhaus an. Sie arbeitete als Notärztin und wurde – fast nebenbei – Soldatin. Auf die Frage, warum sie als fünffache Mutter nach Afghanistan ging, als sie 2002 dorthin geschickt wurde, hat Heike Groos eine schlichte Antwort: „Es war mein Beruf. Ich ernährte damit meine Familie. Ich war nicht nur Ärztin, ich war auch Soldat – die weibliche Form des Wortes existierte damals bei der Bundeswehr noch nicht“.
Um die Kinder kümmerte sich ihr Mann. Die ersten Monate in Kabul waren hart, aber Heike Groos kam zurecht: „Das fremde Land mit seiner wilden Schönheit, die freundlichen Menschen, die so dankbar waren, wenn wir ihnen in den Krankenhäusern und Kinderheimen halfen – ja, auch die Kameradschaft unter den Soldaten war schön. Wir litten gemeinsam unter der Hitze und dem Heimweh, freuten uns über jedes Päckchen aus der Heimat, teilten unsere Träume und unsere Hoffnungen miteinander. In der Anfangszeit war es fat ein bisschen wie im Pfadfinderlager.“
Eine Stimmung, aus der Heike Groos und ihre Kameraden im Juni 2003 brutal herausgerissen wurden. „Wir sind zu einem Busunfall gerufen worden, um die ärztliche Versorgung zu gewährleisten“, erinnert sie sich. „Dort angekommen wurde mir schnell klar: Das hier war kein normaler Verkehrsunfall. Überall lagen tote und schwer verletzte deutsche Soldaten, blutüberströmt. Ein Selbstmord-Attentäter hatte sich und einen unserer Busse in die Luft gejagt. Der war auf dem Weg zum Flughafen gewesen, mit 33 Soldaten, die ihre Heimreise antreten wollten. Für vier von ihnen kam jede Hilfe zu spät, 29 wurden verletzt“.
Es kam alles wieder hoch
Für Heike Groos änderte sich an diesem Tag alles. Was als humanitärer Einsatz begonnen hatte, wurde zur lebensgefährlichen Mission, deren Sinn immer weniger ersichtlich war. Trotzdem funktionierte die Notärztin weiter, zumindest nach außen. Erst zwei Einsätze und fünf Jahre später kehrte sie der Bundeswehr endgültig den Rücken. Ihre Ehe war inzwischen gescheitert, die Erinnerung an das Erlebte immer noch präsent. Ebenso wie viele traumatisierte Kollegen fand sie in Deutschland nicht in ihr altes Leben zurück.
Heike Groos entschloss sich, nach Neuseeland auszuwandern, einen Neuanfang zu wagen. Doch als sie äußerlich zur Ruhe kam, holten die Ereignisse sie wieder ein. „Sechs Jahre nach dem Anschlag kam auf einmal alles hoch. Es war wie ein Schock, ich konnte mich nicht bewegen, fühlte mich wie hinter Watte.“ Heike Groos hatte Glück. Ihr Arbeitgeber, ein Krankenhaus, reagierte mit Verständnis, sie wurde krankgeschrieben und bekam Hilfe. Auch ihre inzwischen fast alle erwachsenen Kinder waren und sind für sie da.
Vergessen wird sie nie
Inzwischen geht es Heike Groos besser. Vergessen wird sie das Erlebte nie. Oft reicht ein Geruch oder das Geräusch eines Hubschraubers, um ihre Gefühlswelt ins Wanken zu bringen. Und doch sagt sie: „Ich möchte kein Mitleid. Und ich möchte auf keine dieser Erinnerungen verzichten. Es ist nicht immer einfach, aber alles ist gut.“ Geholfen hat es auch, ihre Erlebnisse in einem Buch niederzuschreiben. Und schließlich wenigstens beim Schul-Abschlussball an der Seite ihrer Tochter gewesen zu sein.
Eine Übersicht über die Bücher von Heike Groos gibt es auf ihrer Amazon-Seite
Zu den Titeln gehören:
„Ein schöner Tag zum Sterben: Als Bundeswehrärztin in Afghanistan“ (Fischer Taschenbuch Verlag)
„Das ist auch euer Krieg!“: Deutsche Soldaten berichten von ihren Einsätzen (Fischer Taschenbuch Verlag)
„Morgen fangen wieder hundert neue Tage an“
„Ich schreib dir, wenn ich tot bin“
Weitere Infos gibt es auf ihrer Homepage