Es ist schon ein Weilchen her, da reiste Nic so weit nach Osten, wie das in Deutschland gerade eben möglich ist, um über die phänomenale Stadt Görlitz zu berichten – und ein Phänomen, mit dem man so nicht unbedingt gerechnet hätte. Das Ganze erschien  in der HÖRZU.
Und weil Nic seitdem immer wieder gern an Görlitz zurückdenkt und sich auch fest vorgenommen hat, bald mal wieder dorthin zu fahren, hier die Geschichte über eine wunderschöne Stadt, spannende Menschen und kluge Marketing-Strategien.

Görlitz in der HÖRZU

Sie kommen aus Freiburg im Breisgau, aus dem Bergischen Land, aus Ingelheim am Rhein. Manche ziehen sogar aus Spanien hierher. Und: Sie alle wollen ihren Lebensabend in Görlitz verbringen. Bis zu 250 Menschen verlegen jährlich ihren Wohnsitz in die östlichste Stadt Deutschlands, die meisten sind Rentner.

Für Rainer M. (68) und seine Frau Anja (65) kam die Entscheidung mit seinem Vorruhestand im Jahr 2007. „Das Haus war bezahlt, die Kinder ausgezogen. Ein Leben, in dem die größte Herausforderung die Anschaffung eines neuen Autos ist?

Neissestraße (c)StadtGörlitz
Neissestraße (c)StadtGörlitz

Dafür waren wir viel zu abenteuerlustig“, erzählt das Ehepaar und strahlt vor Lebensfreude. Bereits 1998 hatte der Theologe an einer Schule in Görlitz unterrichtet und war damals von der Stadt mit den vielen historischen Gebäuden sofort angetan gewesen. Ab 2002 reifte dann die Idee, an der Neiße noch einmal ganz von vorn anzufangen. Als sich schließlich die Möglichkeit ergab, ein 500 Jahre altes Tuchmacherhaus zu erwerben, machten die beiden Nägel mit Köpfen. „Den Umzug organisierten wir selbst, fünfmal fuhren wir mit einem 7,5-Tonner von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen. Und erlebten hier eine unvergleichliche Hilfsbereitschaft. Selbst wenn wir erst nachts um zwei mit dem Lkw in Görlitz ankamen, halfen die Nachbarn beim Tragen“, so der ehemalige Landeskirchenrat.

Lesungen, Demos & Gebete

Peterskirche Görlitz
Die Peterskirche (c)StadtGörlitz

Diesen Geist spürt man auch als Besucher in Görlitz. Wer ratlos vor seinem Stadtplan steht, wird gefragt: „Brauchen Sie Hilfe?“ Bei der Stadtverwaltung gibt es eine Mitarbeiterin, die sich um die Anfragen potenzieller Neu-Görlitzer kümmert und Infopakete verschickt: Stadtpläne und Infobroschüren, Immobilienangebote, Ansprechpartner bei Sportvereinen oder die passenden Ärzte für altersbedingte Probleme. Bei Anja und Rainer M. kann von Ruhestand kaum die Rede sein. Er engagiert sich in der Gemeinde, organisiert Lesungen oder Demonstrationen, etwa für die Rettung des historischen Kaufhauses – was bislang allerdings vergebens war. Wer mag kann auch einen Urlaub in ihrem Tuchmacherhaus buchen (www.aus-zeit-in-goerlitz.de). Und zusätzlich unterrichtet Anja M. ehrenamtlich kranke Kinder im Klinikum der Stadt. Das Einzige, was sie vermisst, sind ihre beste Freundin und die Enkel.

Sind sie vielleicht nur besonders agile Ausnahme-Senioren? Auf keinen Fall! Lutz Thielemann (44), Geschäftsführer der Europastadt Görlitz/Zgorzelec GmbH: „Es sind spannende Menschen, die neu in die Stadt ziehen. Darunter Künstler und Kreative, die merken, dass sie hier mehr bewegen können als in München oder Hamburg. Natürlich sind viele Senioren dabei, aber direkt um diese Zielgruppe geworben haben wir nicht.“ Inzwischen sei es aber so, dass die hohe Anzahl an Menschen im Alter 60 plus auch die Wirtschaft beeinflusse. „Es gibt in Görlitz mehr Pflegedienste, mehr Ärzte, mehr Apotheken als andernorts. Zum Vergleich: In Berlin kommt auf 4143 Einwohner eine Apotheke, in Görlitz auf 3437 Menschen.“

Günstige Mieten, toller Service

Auch für Jürgen F. (73) waren das wichtige Aspekte. Nach dem Eintritt ins Rentenalter hatte sich der Diplomingenieur für Elektrotechnik zunächst einen Jugendtraum erfüllt und als Busfahrer Touristen durch
ganz Europa kutschiert. Nach
 einer Million Kilometer kündigte er und plante systematisch den Neuanfang: „Ich
 machte mir eine Checkliste. 
Darauf standen Punkte wie
 kulturelles Angebot, medizinische Versorgung und die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Als ich alles abgearbeitet hatte, blieb nur Görlitz übrig. Und das, obwohl auch Italien, Spanien und die Türkei zur Wahl gestanden hatten.“

In Görlitz bewohnt er eine sanierte Altbauwohnung, zahlt für 110 Quadratmeter 700 Euro, inklusive Nebenkosten. „Eine schöne Art, die Rente zu erhöhen“, freut er sich. „In Ingelheim habe ich für eine ähnliche Wohnung 300 Euro mehr gezahlt. Günstige Mieten, das städtische Theater, diverse Ausstellungen, eine lebendige Musikszene sowie eine große Offenheit gegenüber Senioren, die sogar im Supermarkt um die Ecke zu spüren ist, wo es Lupen gibt, damit die Preise besser lesbar sind. Auch für Brigitte (76) und Manfred O. (77) waren das alles gute Gründe, von Freiburg im Breisgau nach Görlitz zu ziehen. Seit 2007 lebt das Paar an der Neiße und hat diese Entscheidung nie bereut. „Wir kommen überall zu Fuß hin, die Menschen sind freundlich, offen, ehrlich, hilfsbereit und unglaublich geduldig“, schwärmt Manfred O.. „Und Sie dürfen nicht die wunderschöne Landschaft im Umland vergessen!“ Scheint fast so, als wären die Senioren in Görlitz tatsächlich viel agiler als andernorts. Und wenn sie doch einmal verschnaufen möchten, dann ist die nächste Bank garantiert nicht weit.

Zusatz: Filmstadt Görlitz

Nicht nur Senioren gefällt es in Görlitz, auch die Filmindustrie lässt sich hier regelmäßig blicken, um in den historischen Straßen zu drehen. In Görlitz entstanden u. a. Hollywood-Streifen wie „In 80 Tagen um die Welt“ (2004 mit Jackie Chan), Der Vorleser (2008 mit Kate Winslet), Inglourious Basterds (2008 mit Christoph Waltz), The Grand Budapest Hotel (2013 mit Ralph Fiennes) und The Book Thief (2013 mit Geoffrey Rush und Emily Watson), aber auch deutsche Produktionen wie Die Vermessung der Welt (2011 mit Florian David Fitz), Der Turm (2011) und Die letzte Instanz (2013), beide mit Jan Josef Liefers.

Marienplatz (c)StadtGörlitz
Marienplatz (c)StadtGörlitz

Weitere Infos:

www.goerlitz.de

www.goerlitz-tourismus.de

https://www.facebook.com/StadtGoerlitz

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