Ein Blog - zwei Meinungen

Verehrte Leser, ich freue mich sehr, Ihnen und euch heute eine funkelnagelneue Rubrik bei nicmag zu präsentieren. Nic & Kai – Ein Blog, zwei Meinungen. Hier gibt es künftig immer mal wieder zwei unterschiedliche Standpunkte zu verschiedenen Themen. Als Partner für dieses launige Pro- und Contra-Spiel konnte ich den wunderbaren Kollegen Dr. Kai Riedemann gewinnen. Und er darf auch den Anfang machen. Die Frage, mit der wir uns zum Auftakt beschäftigen lautet:

Findet KAI, dass früher alles besser war?

Journalist, Autor und Cartoonist: Dr. Kai Riedemann
Journalist, Autor und Cartoonist: Dr. Kai Riedemann

Seine Meinung: Früher war alles besser? Nein, natürlich war früher nicht alles besser. Aber einfacher. Wo wir uns problemlos im Leben zurecht fanden, brauchen wir heute ein Navigationsgerät. Einige werden sich noch daran erinnern: Die „Tagesschau“ informierte um 20.00 Uhr über die wichtigsten Ereignisse, Tageszeitungen brachten echte Neuigkeiten. Dank Twitter, Facebook & Co. wissen wir heute innerhalb von 3 Sekunden, dass im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh eine Kuh umgekippt ist, Justin Bieber eine Pizza gegessen hat und die Cousine aus Deggendorf gerade unter Verdauungsstörungen leidet.
Niemand regte sich auf, wenn ein Brief drei Tage unterwegs war, für den Notfall gab’s ja Telefon. Heute geht die multimediale Angst um, etwas zu verpassen. Wir erleben das täglich, wenn Menschen in U-Bahnen und Bussen, auf Rolltreppen und Bürgersteigen, beim Essen und ähnlichen Stoffwechseltätigkeiten auf das Display ihres Smartphones starren. Sie benötigen auf dem Weg zur Arbeit eigentlich drei Hände: eine fürs Handy, die zweite fürs belegte Brötchen, die dritte für den Coffee to go.

Der Tatort – Das letzte Lagerfeuer Deutschlands

Auch das Fernsehen war irgendwie übersichtlicher. Drei Programme und spätabends Sendeschluss. Was für eine alptraumhafte Vorstellung. Sendeschluss! Nur Schnee auf dem Bildschirm und Rauschen. Was haben wir damals bloß gemacht? Geschlafen? Jetzt heißt es selbst bei über 40 Programmen: „Heute läuft aber auch gar nichts Vernünftiges.“ Nur zum „Tatort“ versammeln sich noch jeden Sonntag bis zu 12 Millionen Menschen. Das letzte Lagerfeuer Deutschlands.

Der Preisvergleich vom Preisvergleich

Und die Fernsehgeräte selbst? Sie hatten so klangvolle Namen wie Saba Schauinsland, Graetz Kurfürst oder Nordmende Spectra Color und waren eine Anschaffung fürs Leben. Wer heute in einen Elektronikmarkt geht, kämpft sich durch endlose Regalwände voller Technik, deren Produktbezeichnungen ein Wörterbuch „Deutsch-TV/TV-Deutsch“ erfordern. UE 40 D 6500 VSXZG? Viera TX P 50 VT30 E? Und dann erst der Preis. Statt wie früher einfach zu kaufen, muss der Preisvergleich im Internet her. Und weil man einem Preisvergleich nicht trauen kann, gibt es noch die Preisvergleichvergleichsseiten. Nein, früher war nicht alles besser, aber übersichtlicher. Kinder brauchten für ihren Tagesplan keinen digitalen Terminkalender mit automatischer Mail-Erinnerung. Sie waren eben Kinder und hatten auch mal frei statt von einem Termin zum anderen zu hetzen und Verabredungen per SMS zu treffen. Wir bestellten im Cafe einfach Kaffee („Tasse oder Kännchen?“) und mussten uns nicht zwischen Iced Caramel Macchiato und Java Chip Light Frappuccino blended beverage entscheiden. Alles alberne sentimentale Erinnerungen? Oder sehnen sich viele doch heimlich nach einem einfacheren Alltag? Ohne minütliche Qual der Wahl, ständige Erreichbarkeit und Technik-Ohnmacht?

Der Autor: Dr. Kai Riedemann arbeitet im Hauptberuf als Redakteur für HÖRZU und HÖRZU Wissen. Eine Auswahl seiner Kurzgeschichten gibt es im ebook „Und morgen dufte ich nach Lakritz“. Außerdem ist Kai der geistige Vater der Kaitoons.

Und was sagt NIC dazu?

Nicole Stroschein von nicmag – Journalistin, Bloggerin und nic
Nicole Stroschein von nicmag – Journalistin, Bloggerin, kurz: nic

Meine Meinung: Wann genau war das eigentlich, dieses früher? Ich habe darüber kürzlich mit meiner Tochter philosophiert, die ja ziemlich genau ein Jahrzehnt auf dieser Erde weilt. Sie hat auch schon von älteren Menschen gehört, dass früher alles besser gewesen sein soll. Das Wetter, das Fernsehprogramm, die jungen Leute und überhaupt.
Als korrekte Mutter habe ich ihr dann verraten, dass man mir das als Kind auch oft erzählt hat: Früher sei alles besser gewesen. Mal ehrlich: Ihr habt sicher auch davon gehört, dass sogar die Beatles für einen Aufschrei des Entsetzens sorgten, damals … Die Frage, die sich mir stellt, ist eigentlich nicht, ob früher alles besser war, sondern, warum offensichtlich die meisten von uns irgendwann anfangen, das so zu empfinden? Ist die Verklärung des sogenannten „früher“ genetisch vorprogrammiert? Müssen wir uns einreden, wenigstens irgendwann mal gute Zeiten erlebt zu haben, um uns besser zu fühlen?

Ein Hoch auf die moderne Technik!

Lassen wir aber solche grüblerischen Ansätze mal außen vor, die führen vermutlich zu nichts. Ich  bin nämlich total hochzufrieden mit dem jetzt und heute. Als Journalistin kann ich im Büro, von zu Hause oder im Park arbeiten, weil die moderne Technik es möglich macht. Meine Kinder werden in der Schule viel individueller gefördert, als das in den 70er-Jahren zu meiner Schulzeit der Fall war (übrigens spielen sie auch draußen, inklusive schmutzig-machen und Schramme am Knie oder sie langweilen sich mal einen ganzen Nachmittag – sie haben nämlich keinen Terminplaner). Das Internet ermöglicht mir, auf alles Wissen dieser Welt zuzugreifen und mit alten Freunden in Verbindung zu bleiben, die ich sonst längst aus den Augen verloren hätte, bzw. zeitweise schon aus den Augen verloren hatte. Und nicht zuletzt gibt es erst jetzt die wunderbare Möglichkeit, einen Blog wie nicmag zu pflegen, zu leben und zu lieben. Schon allein deshalb mag ich es jetzt und heute. Ich möchte nicht zurück in dieses früher. Wer weiß, was da aus mir geworden wäre?

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8 Kommentare

  1. Sehr schön! Fürwahr schlagende Argumente. Da fällt die Entscheidung zwischen Heute und Gestern tatsächlich schwer. Allerdings: Brötchen, Handy und Coffee to go mit zwei Händen zu jonglieren ist doch wirklich nicht so schwer, wenn das die einzige Herausforderung der neuen Zeiten ist, dann immer her damit…

    1. Ein bisschen bin ich ja ins Wanken geraten, bei dem Gedanken daran, Besitzerin eines Saba Schauinsland sein zu können … Aber das darf natürlich niemand wissen :D

  2. Pauschal kann man diese Frage nicht beantworten, weil es Dinge gibt, die früher besser waren, aber auch Dinge, die heute besser sind.
    Zu diesem Thema gab es auch eine interessante Blogparade, hier der Link mit der Auswertung https://karrierebibel.de/

    1. Natürlich lässt es sich nicht pauschal beantworten, deshalb regen wir ja mit unseren zwei „Standpunkten“ gern zum Nachdenken an :) Lieben Dank für den Link!

  3. Naja, es war nicht ALLES besser, die Brötchen waren aber feiner, es gab in jedem Landstrich eigene Brötchensorten, das fehlt mir in diesen “Kamps-Zeiten”. Richtige Bäcker mit Backstube, den Geruch habe ich heute noch in der Nase.
    Morgens mit der warmen Brötchentüte am Bauch nach Hause …

    Und dann gibt es noch den Spruch eines sehr geschätzen Kollegen: Früher, das war, als die Luft noch sauber und der Sex noch schmutzig war … ;-)

    Ich glaube, es gibt immer etwas, das man vermisst und vieles, das man nicht mehr missen möchte. Wenn ich heute mit dem Zug zu meinem Vater fahre, dann bin ich froh, dass ich mir mein Handy schnappen kann, um ihm mitzuteilen, dass ich später komme, statt das Gefühl zu haben, dass er nervös rumläuft, weil er denkt, mir sei was passiert.

    Und dann wieder tut mir Neffe leid, der gerade jetzt das Turbo-Abi machen musste, nicht mehr zum Lesen kam, seinen Sport aufgeben musste, weil es nur noch ums Lernen ging. Sein Vater, der auch mein Bruder ist (Jahrgang 67), sagte selbst, dass der Leistungsdruck heute viel höher sei. O-Ton: “Früher haben wir den Zeh zum Fenster rausgestreckt, wenn er kalt wurde, sind wir nicht zur Uni!” :-D
    Aus ihm ist aber auch was geworden. ;-)

    Nein, ich wünsche mir manchmal, dass man alles in einen Topf schmeißt, umrührt und das Beste aus allen Zeiten rausholt, wie zum Beispiel meine Brötchen, vor allem meine Kieler Semmel, die kriegt man nämlich kaum noch. Eine solche Semmel mal wieder und ich wäre im Himmel.

    1. Dann sollten wir uns als nächstes dringen mal um die Rettung der Kieler Semmel kümmern. Eine Bürgerinitiative, evt. eine Online-Petition. Dann haben wir immerhin schon mal eine von uns glücklich gemacht ;)

  4. Hallo Nic,
    die Semmel-Petition würde ich glatt unterstützen. Ich habe auch genug von dem Aufback-Einerlei. Das ist überhaupt ein Punkt, der mich neben der Hektik, an der heutigen Zeit stört: Es wird Vieles immer einheitlicher. Das empfinde ich als ausgesprochen langweilig. Das heißt natürlich nicht, dass ich auf Dinge wie Handy und Internet verzichten wollte :-)
    viele Grüße
    Ann-Bettina

  5. Es kommt darauf an, wo man im Leben steht. Aus meiner Sicht wird nichts besser, bestenfalls verschlimmbessert. Kai und ich sind definitiv als Autoren besser und vielseitiger geworden, die medizinische Versorgung ist auf dem höchsten Stand, aber als Tiefpunkte sind die prekäre Medikamentenversorgung oder die Budgetierung in den Praxen zu nennen. Wenn man wie ich seit Jahren chronisch Krank und bereits jenseits der 65 ist, dann wird man gesellschaftlich in Ablage P entsorgt. Die KI ersetzt nun auch noch meinen schlecht bezahlten Text-Job und lernt dabei kostenfrei jede Menge Zeug. Irgendwann kostet sie was, zuvor hat sie aber zahlreiche tausend Arbeitsplätze vernichtet. Schöne neue Welt. Immerhin habe ich als Künstlerin ein zweites Standbein.

    Grüßles an Kai, man kennt sich von früher…

    Moon

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