Unsere Pläne für Pfingsten? Rumhängen, Grillen, gelegentlich innerlich und äußerlich abkühlen. Die Realität: 7:30 Uhr aufstehen, nach Regenwürmern buddeln und Tom füttern. Sie fragen sich, wer Tom ist?
Nun, Tom ist die Amsel, die seit gestern bei uns wohnt. Amsel-Experten werden jetzt sagen: Das ist aber ein Weibchen. Amsel-Männchen sind nämlich schwarz.
Schlaue Amsel-Mädchen, gefährliche Jäger
Unsere Antwort: Wo steht geschrieben, dass Amsel-Mädchen nicht Tom heißen dürfen? Aber von vorn. Als wir gestern Mittag nach Hause kamen und uns schon sehr auf unsere Extrem-Chilling-Pläne freuten, wurden wir schnell eines besseren belehrt. In unserer Küche saß Tom. Ganz regungslos, wie schlaue Amsel-Mädchen das tun, wenn gefährliche Jäger, die hier mal wieder nicht namentlich genannt werden wollen, in der Nähe sind. Tom hatte bereits ein paar Federn gelassen. Ich nahm an, sie sei gar nicht mehr am Leben, hob sie vorsichtig mit einem Tuch hoch und stellte fest, dass sie noch ziemlich agil war. Was tun? Draußen schimpften deutlich hörbar Toms Eltern oder eine der anderen Vogelfamilien, so genau weiß man das ja nie auf dem Land … Aber auch besagte Jäger lagen natürlich auf der Lauer. Hier leben ja fast in jedem Haus potentielle Mörder.
Ein Ästling in Gefahr
Wir versuchten Tom in der Nähe der krakehlenden Amseln abzusetzen. Wie ich inzwischen weiß, ist sie ja ein Ästling. Das sind schon recht große Vogeljunge, die schon mal aus dem Nest hüpfen aber noch nicht fliegen können. Normalerweise werden sie dann einfach weiter von ihren Eltern gefüttert und alles ist gut. Nun hatte Tom sich aber vor unseren Kühlschrank verirrt und es gestaltete sich schwierig, sie wieder mit ihrer Sippe zu vereinen. Zumal wir den Eindruck bekamen, sie könne nicht nur nicht fliegen, sondern auch nicht richtig hüpfen. Vielleicht war ja ein Bein gebrochen? Was also tun?
In meiner Ratlosigkeit rief ich die diensthabende Tierärztin an (Es war ja immerhin Samstag-Nachmittag, kurz vor Pfingsten). Frau Dr. Lichtenstein, die, wie ich gerade feststelle, mit dem Hundezentrum Schleswig-Holstein zusammenarbeitet, über das ich ja auch schon berichtete, meinte, wenn Tom ein gebrochenes Bein hat, muss sie eingeschläfert werden, wir könnten gern vorbeikommen.
Die überraschende Wende
Puh, traurig, aber uns blieb keine andere Wahl. Wir machten uns auf den Weg, Tom reiste in einer Katzentransportbox. Vor Ort dann die nächste Überraschung. Frau Dr. Lichtenstein nahm Tom in die Hand, lächelte uns an und erklärte: „Sie ist völlig in Ordnung, wenn Sie sie ein paar Tage füttern, kann sie bald wieder in die Freiheit zurück.“ Sie selbst habe als Kind oft Vögel mit Quark aufgepäppelt, vielleicht könne Tom auch Regenwürmer bekommen. Die Amsel sei kurz davor fliegen zu lernen. Auch der Fuß, der uns so seltsam erschienen war, sei völlig ok. Wir sollten Tom einen Stock in den Transportkorb legen, daran könne sie weiter trainieren, sich ordentlich auf einem Ast festzukrallen.
Die Gewohnheiten von Regenwürmern
Tja, nun leben wir hier also nicht nur mit zwei Mördern, sondern auch ihrer Lieblingsbeute unter einem Dach. Ausschlafen? Nicht dran zu denken. Statt dessen haben wir heute morgen um 7:30 Uhr schon nach Regenwürmern gebuddelt. Tom interessiert sich nämlich eher wenig für Quark. Regenwürmer und Kirschen findet sie dafür ganz super. Praktischer Nebeneffekt: Die Beete werden nach dem Wochenende 1A umgegraben sein und ich kenne mich dann nicht nur mit Hunden, Katzen und Amseln, sondern auch mit den Gewohnheiten von Regenwürmern aus.
Das Image einer Amsel …
Wobei: Von Auskennen kann natürlich nicht wirklich die Rede sein. Ein bisschen ratlos bin ich schon, wenn ich an Toms Zukunft denke … Wird es uns gelingen, sie ordnungsgemäß wieder auszuwildern? Bis dahin sind wir übrigens dankbar für Tipps und Hilfe jeder Art. Hat eventuell irgendjemand da draußen noch einen Vogelkäfig, den er uns für ein paar Tage leihen kann? Muss nichts großes sein. Und zur Not kommen wir wohl auch mit der Katzenbox zurecht. Doch ich möchte natürlich nicht, dass Tom einen Image-Schaden erleidet oder sich gar am Ende für eine Katze hält …
Abgesehen davon ist geplant, eine Therapie-Gruppe mit den Mördern in der Nachbarschaft zu gründen. Frei nach dem Motto: „Birds are friends, not food“ – in Anlehnung an die lustigen Haie in Findet Nemo, die keine Fische mehr essen wollen. In diesem Sinne: Friedvollen Tag Ihnen allen, ich muss los zur nächsten Fütterung :)
Nachtrag: Tom ist leider gestorben, noch am selben Tag. Wir wissen nicht warum und sind sehr traurig – wir haben ihr aber einen schönen Platz im Garten ausgesucht und werden sie nicht vergessen. Wer weiß, warum sie in unser Leben geflattert kam …