Journalist, Autor und Cartoonist: Dr. Kai Riedemann
Journalist, Autor und Cartoonist: Dr. Kai Riedemann

Seine Meinung: Die Fußball-WM ist ja was Feines. Da wird gebissen und gegrätscht, gepöbelt und geflucht. Kämpft, wenn ihr Männer seid! Das Messer zwischen den Zähnen, das Trikot durchgeschwitzt – so sehen Siegertypen aus. Im Fußball und in der Liebe ist bekanntlich alles erlaubt.

Dann schalte ich um auf EUROSPORT und sehe Snooker. Voll konzentrierte Männer mit Weste und Fliege zirkeln kleine Bälle in die Löcher eines grünbespannten Tisches. Mucksmäuschenstill ist es in der Halle, sogar der Kommentator scheint zu flüstern. Wenn er überhaupt mal was sagt. Action? Fehlanzeige. Fluchen? Verboten. Dafür gibt’s Fairplay. Da sitzt der Sieger schon mal traurig auf seinem Stuhl statt zu strahlen. Er konnte nur gewinnen, weil sein Kontrahent durch einen Zuschauer gestört wurde und deshalb einen wichtigen Ball verschoss. Entschuldigung, dass ich so siegen musste.

Manuel Neuer mit schwarz-rot-goldener Fliege?

Manchmal vermischen sich bei mir die Bilder. Da geht Bastian Schweinsteiger plötzlich zum Schiedsrichter und sagt: „Du hast leider nicht gesehen, wie ich ein Foul begangen habe. Bitte zeig mir die Gelbe Karte.“ Prallt der Volleyschuss vom Rücken eines Gegenspielers ab und landet im Tor, heißt es: „Tut mir leid, das war keine Absicht.“ Zerknirschtes Schulterzucken statt Jubel. Pfeift ein Fan die gegnerische Mannschaft aus oder trötet zu laut, wird er verwarnt. Und im Wiederholungsfall des Stadions verwiesen. Zugegeben, der Dresscode beim Snooker lässt sich nur schwer auf den Fußball übertragen. Manuel Neuer mit weißem Hemd und schwarz-rot-goldener Fliege sähe im Tor etwas albern aus. Aber wenn ich Vorbilder fürs Alltagsleben suche, dann werde ich auf dem grünen Rasen nicht fündig. Viele andere offenbar doch. Radfahrer, die uns vom Bürgersteig drängeln.  Kollegen, die für die Karriereleiter mobben. Frauen, die sich in der Schlange beim Bäcker vordrängeln. Kinder, die beim „Mensch, ärgere dich nicht“ mogeln. Vielleicht brauchen wir im Leben mehr von dem, was sich so dezent am grünbespannten Snooker-Tisch abspielt.

NIC meint: Ein Leben ohne Fußball ist möglich aber sinnlos

nic liebt Fußball
nic liebt Fußball

Meine Meinung: Das ist ja mal wieder eine gewagte These, die du da zur Diskussion stellst, lieber Kai. Snooker? Um mich halbwegs adäquat dazu äußern zu können, habe ich ein paar Recherchen angestellt. Und ich erfuhr Launiges. Zitat Wikipedia:

„Im Jahr 1969 suchte die BBC nach einer Sportart, die bei geringen Kosten die Möglichkeiten des gerade eingeführten Farbfernsehens besonders zur Geltung bringen sollte. Man hob zu diesem Zweck schließlich das Snookerturnier Pot Black Cup aus der Taufe, das am 23. Juli 1969 erstmals übertragen wurde. Die Popularität von Snooker erhielt dadurch einen enormen Auftrieb.“

Äh, ja, klar. Hübscher, grüner Tisch, bunte Kugeln, Farbfernsehen, Männer, die Fliegen tragen …

Fußball ist Emotionen

Mal ehrlich: Contenance und Korrektheit in allen Ehren. Nichts gegen einen Gentleman, meinetwegen auch zwei. Aber so sind Menschen nun mal nicht 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag. Es liegt nicht in unserer Natur, immer glattgebügelt und würdevoll durch die Welt zu schreiten. Und darüber bin ich ziemlich froh. Fußball ist echt. Fußball ist Emotionen. Es gibt uns auf wunderbar-einfache Art die Möglichkeit, auch die nicht so formvollendete Seite unserer Persönlichkeit auszuleben. Schweiß und Tränen, Aggressionen und pures Glück – DAS ist das Leben. Schweini & Co. grätschen sich stellvertretend für Millionen Fans durch die WM in Brasilien und ich garantiere dir: dadurch ersparen sie uns eine Menge Rüpeleien im wahren Leben. So wird nämlich ein Schuh draus: Wer aufgestaute Energie auf dem Platz, auf der Tribüne oder vor dem Fernseher rausgrölt, kann am nächsten Morgen auch ganz höflich der jungen Mutter beim Bäcker die Tür aufhalten.

Die Vorstellung, immer eine Fassade der Selbstbeherrschung und Perfektion aufrecht erhalten zu müssen, macht mir da viel eher Angst. Ich würde mir nach kürzester Zeit die Fliege schreiend vom Hals reißen und im besten Tourette-Stil Schimpfworte ausstoßen. Also, ähem, ich denke es ist klar, was ich zu sagen versuche. Ach und noch eins: Manuel Neuer kann definitiv alles tragen – muss er aber zum Glück nicht ;)

Ähnliche Beiträge

5 Kommentare

  1. Kai schreibt: “Im Fußball und in der Liebe ist bekanntlich alles erlaubt.”
    Und genau deshalb ist Fußball auch so genial, heiß, erotisch, verschwitzt, lustvoll und vieles mehr.
    Bei Snooker kriege ich das Bild von einem frischgewaschenen Mann mit Wasserscheitel, Fliege und lila Weste, der mit zusammengepressten Schenkeln auf der Couch sitzt und erwartet, dass ich mich für ihn erwärme, bzw. erhitze …

    Ne, ich stehe auf meine Fußballer …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert